63. Wochenenden nach der Firmung

Wenn die Gruppen in der Firmvorbereitung gut gelaufen waren, dann tauchte gegen Ende       – unmittelbar vor oder nach der Firmung – häufig die Frage auf, ob es eine Möglichkeit gäbe, die Gruppe fortzusetzen. Ein solcher Wunsch war ein Zeichen, dass sich in dem halben Jahr regelmäßiger Treffen ein deutliches Gemeinschaftsgefühl entwickelt hatte. Vielleicht war auch dem einen oder anderen klar geworden, dass es sich lohnen könnte, weiter über „Gott und die Welt“ nachzudenken. Dafür war die Firmgruppe nämlich die einzige Möglichkeit, wie die Jugendlichen auf vielfältige Nachfrage selber immer wieder bestätigten. Und so sind viele Gruppen nach der Firmung in unterschiedlicher Form und unterschiedlich lange weitergeführt worden.

Die „Wochenenden nach der Firmung“, die es zwischen 1990 und 2000 gegeben hat, scheinen mit einem anderen Hintergrund entstanden zu sein. Die jungen Leute und die Erwachsenen, die bei diesen Wochenenden dabei waren, hatten alle ihre Erfahrungen in der Firmvorbereitung gemacht. Aber für manche lag diese Zeit schon länger zurück. Deswegen ging es wohl auch nicht mehr darum, etwas Schönes festzuhalten, wie bei den anderen Gruppen. Es war wohl ein etwas abgeklärteres Verständnis vom Wert und der Bedeutung dessen, was sie in den Firmgruppen erfahren hatten.

Wie es konkret angefangen hat, erzählt Jörg Burkhard in den „Aspekten“ vom Dezember 1990. Wieder überlegte man in einer Gruppe am Ende der Firmvorbereitung, wie es weitergehen könnte. Drei Wünsche hatten die Teilnehmer: „regelmäßige Jugendmessen, ab und zu eine Fete bei Klönen und Musik und noch einmal so ein Wochenende – ähnlich wie in Rinsecke.“ – Und dann berichtet er von dem ersten derartigen „Wochenende nach der Firmung“ im Herbst 1990.

In der Folgezeit gab es normalerweise in jedem Jahr zwei solche Wochenenden, eins im Frühjahr und eins im Herbst. Rund 30 Jugendliche nahmen teil, mal mehr, mal weniger. Der äußere Rahmen war stabil: in den meisten Fällen fanden die Treffen in Rinsecke statt, freitags um 17,30 Uhr ging es mit dem Bus vom Parkplatz an der Schule los, und wenn es ohne die üblichen Staus abging, konnte abends noch ein normales Programm mit Abendessen, Aufwärmphase und Einführung in die geplante Thematik stattfinden. Ein Artikel in den Aspekten vom September 1996 berichtet über die Planung und Durchführung der Wochenenden. Dort sind auch die Themen der ersten Jahre aufgelistet. Elfmal hatten die Treffen bis dahin stattgefunden und dies waren die Themen: Herbst 1990: „Das Allerzärtlichste überwindet das Allerhärteste!“ Wie gehe ich mit mir selbst um? Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um? Wie gehe ich mit der Schöpfung um? – Juni 1991: „Immer wieder anfangen! Sich nicht entmutigen lassen!“ – Herbst 1991: „Wir haben einen Traum!“ Darf/kann ich heute noch Träume haben? Was mache ich mit meinen Träumen? – Herbst  1992: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“ – März 1993: „Freundschaft/Partnerschaft“ – Herbst 1993: „Konflikte! Was machen Konflikte mit mir? Wie konfliktfreudig bin ich eigentlich? Konflikte von der Wiege bis zur Bahre! Wie gehe ich mit Konflikten um? – März 1994: „Über den eigenen Schatten springen!“ Mir selbst näher kommen, mich neu kennenlernen, anderen begegnen, etwas Neues ausprobieren. – Herbst 1994: „Ein sinnvolles Wochenende mit Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten und …!“ – Februar 1995: „Ich als Christ im Alltag! Zwischen Heiligenschein und Ellbogenmentalität“ – Herbst 1995: „Ich bin was wert! Jeder Mensch ist ein König!“ – März  1996: „Mein Lebensweg mit Kompass und Karte oder ein Zufallsspaziergang?“

Diese Zusammenstellung lässt erkennen, wie vielfältig die Themen waren, vor allem im Unterschied zu der Abfolge im Firmkurs, die ja deutlicher und zielstrebiger auf Glaube, Kirche und Sakrament der Firmung ausgerichtet war. Das rührte auch daher, dass für die Vorbereitung der Wochenenden immer eine Gruppe von Jugendlichen und Begleitern zuständig war, die die Auswahl vornahm und die Durchführung plante. Die Wochenenden waren dadurch nah am Leben und den Interessen und den Fragestellungen der Jugendlichen. Deshalb verwundert es auch nicht, dass eine Reihe von Teilnehmern öfter bis fast regelmäßig dabei waren. Ihr Interesse war wach geworden und sie hatten erkannt, wo sie ihren Wissensdurst stillen konnten – oder: sie hatten eine Chance entdeckt, wo sie weiterhin über „Gott und die Welt“ nachdenken und sprechen konnten.

Ein Ehepaar mit viel Erfahrung in der Gemeindekatechese und in Führungspositionen der Gemeinde hat die ganzen Jahre diese Aktivität in der Spur gehalten. Von Beginn an war auch Ralf Jachmann dabei, der zu der Zeit schon als Leiter im Hospiz tätig war. Mit seiner theologischen Kompetenz und seiner unnachahmlichen Art, ein Bibliodrama zu gestalten, hat er immer wieder die Teilnehmer tief berührt und ihnen wertvolle Erfahrungen vermittelt. Und selbst als er bei einem Wochenende kurz vor Beginn absagen musste, hatte das eine positive Folge. Die Begleiterin, die seinen Part übernehmen sollte, fühlte sich zwar zunächst heftig überfordert. Aber nach dem ersten Schreck und in Anbetracht der Notwendigkeit stellte sie sich der unerwarteten Aufgabe und siehe da: es ging. – Eine solche Aktivität über mehrere Jahre zu begleiten, kann zu einer deutlichen Belastung werden. So lag es nahe, dass 1997 ein jüngeres Gemeindemitglied die Leitung der Wochenenden übernahm. Leider konnte er sich nicht sehr lange an dieser Tätigkeit erfreuen. Das Haus in Rinsecke wurde im Jahr 2000 geschlossen. Und das hatte zur Folge, dass auch die „Wochenenden nach der Firmung“ nicht weitergeführt wurden.

Die Gestaltung der Tage in Rinsecke war nah bei den Jugendlichen und ihrem  normalen Leben. Es ging ja nicht um eine Bildungsveranstaltung oder ein Seminar zur Wissensvermittlung. Und zu der Zeit wurde das Verhalten von jungen Leuten auch noch nicht von „Klicken“ und „Wischen“ geprägt. Angestrebt wurde eine „gute Mischung aus sich wohl fühlen, Gemeinschaft erleben, Spaß haben und über ein gemeinsames Thema nachdenken“ (Aspekte September 96). Und der Ablauf wird im gleichen Artikel so geschildert: „Der Freitagabend dient dazu, sich kennenzulernen, sich ans Thema heranzuschleichen und Spaß zu haben. Nach einer mehr oder weniger langen Nacht gibt es ein ausgedehntes Frühstück mit frischen Rinsecke-Brötchen, Tee, Kaffee, Milch usw. Neben Möglichkeiten zum Bewegen in der sauerländischen Luft, Tischtennisspielen, gemeinsamem Kochen und Spülen, gibt es samstags und sonntags 3 Themenrunden und einen Wortgottesdienst, die durch eine Vorbereitungsgruppe abwechslungsreich gestaltet werden. Neben dem Diskutieren werden dabei alle Sinne angesprochen: Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen. Samstagabend gibt es immer einen Spiel-Abend, der bunt, laut, lebhaft ist und erst lange nach Mitternacht endet. Ein Fässchen Bier (natürlich steht auch ausreichend Saft und Mineralwasser zur Verfügung) löscht den entstandenen Durst.“ Wenn man diese Beschreibung liest, kann einen auch nach so vielen Jahren noch der Wunsch ankommen, damals dabei gewesen zu sein!  

Der Blick auf die Wochenenden nach der Firmung kann auch für heute noch hoffnungsvoll stimmen. Scheint sich doch da eine typische Abfolge im Glaubensprozess zu zeigen. Zunächst muss man irgendwie „auf den Geschmack kommen“. Anscheinend geschah das immer wieder in den Gruppen der Firmvorbereitung. Und einige Jugendliche und Erwachsene sind dabei so „angesprungen“, dass sie sich selbst für die Fortsetzung der Treffen und Gespräche einsetzten. Das ist bemerkenswert, denn normalerweise ist es in der Kirche üblich, dass sich die Hauptberuflichen etwas einfallen lassen und dann viel Reklame machen, um die Veranstaltung voll zu bekommen. Die Wochenenden nach der Firmung sind natürlich auch in den Mitteilungen an die Gemeinde vorgestellt worden, aber wichtig waren vor allem die persönlichen Kontakte und das eigene Interesse der Teilnehmer. Mündige Christen, die sich selbst um ihren Glauben kümmern, gibt es also nicht nur in der Theorie! – Die brauchen dann aber auch die Möglichkeit, sich irgendwann und irgendwo zu treffen. Sie brauchen den „Raum“ der Gemeinde. Damit ist nicht nur der Ort gemeint, sondern vor allem die Möglichkeit einer dauerhaften und tragfähigen Gemeinschaft. Soll der Glaube wachsen und nicht bald wieder verkümmern, scheint eine dauernde Zugehörigkeit zu einer lebendigen Gemeinde nötig zu sein. Das haben die Wochenenden wahrscheinlich nur ansatzweise bieten können. Denn viele der Teilnehmer lebten inzwischen nicht mehr in Hochdahl und waren deshalb zwischen den Treffen vermutlich auf sich allein gestellt. Und als es im Jahr 2000 nicht mehr weiterging, hörte diese Möglichkeit von Gemeinschaft auf. Da ging dann wohl jeder dahin, wo er inzwischen lebte und arbeitete. Dass er dort die tragende Gemeinschaft fand, ist nicht sicher. Es gibt also neben der hoffnungsvollen Perspektive auch eine bittere Frage bei der Betrachtung der Wochenenden nach der Firmung: hat der mündige Christ eine Chance, die lebendige und vertrauensvolle Gemeinde zu finden, in und mit der er seinen Glauben leben kann? Leider sind die Unbeweglichkeit und die Berufung auf das Hergebrachte in vielen Gemeinden die Norm. Und diese Mentalität hilft nicht.   

Eine flächendeckende Versorgung kann die Kirche in Deutschland schon lange nicht mehr leisten. Wenn man dem Glauben ein neues Fundament geben will, muss man es vielleicht nach dem Muster der „Wochenenden nach der Firmung“ versuchen. Leute, die auf den Geschmack gekommen und angesprungen sind, werden eigenständig und suchen nach Wegen und Möglichkeiten, ihren Glauben zu entwickeln und zu leben. Im „Zeugnis des Glaubens“ stärken und ermutigen sie sich gegenseitig. Wenn sie dazu eine tragfähige und dauerhafte Gemeinschaft finden und gestalten, entsteht Kirche neu.

 

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