54. Vorbereitung auf die priesterlose Zeit

Wir haben bei der Frage nach der Zukunft der Kirche hierzulande auf die Gemeinde gesetzt. Wir waren und sind der Meinung, dass sich das Volk Gottes jeden Sonntag am gleichen Ort und zur gleichen Zeit versammeln muss. Und wenn dann kein Priester da sein kann, muss in dieser Notsituation ein Wortgottesdienst gefeiert werden. Und die Gemeinden müssen befähigt werden, einen solchen Gottesdienst eigenständig durchzuführen.

 

Das war das Programm, was sich in unserer „Trainingssituation“ 1983 herausstellte. Bei der Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen auf die Sakramente hatten wir ein doppeltes Prinzip, um unsichere Erwachsene zu ermutigen, die Begleitung von Gruppen dabei zu übernehmen. Das lautete: 1. Ich traue dir zu,  dass du das schaffst und 2. Alles, was du dazu brauchst, werden wir gemeinsam erarbeiten. Das gleiche Prinzip war maßgebend, als wir jetzt daran gingen, einen Kreis von Gemeindemitgliedern für die Leitung von Gottesdiensten zu schulen.

 

Dass Gemeindemitglieder einen Gottesdienst vorbereiteten, war ja inzwischen selbstverständlich. Insofern war es nicht etwas grundsätzlich Neues, als wir 1984 die Gemeinde einluden, sich in einer Gruppe damit zu beschäftigen, wie man einen „Gemeindegottesdienst“ vorbereitet und leitet. Gemeint war dabei natürlich ein Wortgottesdienst, der ganz in der Regie der Gemeinde gestaltet werden sollte. Wir gründeten also einen Arbeitskreis Gemeindegottesdienst – AKGG. Ein gutes Dutzend Interessierte kamen zusammen und machten sich an die Arbeit. Alle waren auch bisher schon an verschiedenen Stellen in der Gemeinde aktiv und die meisten hatten Erfahrungen mit der Verkündigung entweder als Begleiter bei Kommunion, Buße oder Firmung oder auch durch ihren Beruf. Die geplante Tätigkeit ging allerdings über die thematische Vorbereitung eines Kinder- oder Jugendgottesdienstes hinaus. Die Gruppe musste eine eigenständige Leitung eines Wortgottesdienstes lernen und sich über viele Hintergründe in Exegese, Pastoral und Liturgie klar werden. Wir haben deshalb intensiv Theologie betrieben, vermutlich ein ganzes Jahr oder länger. Unser Arbeitsmaterial war der „Würzburger Fernkurs“, der auch für die Aus- und Weiterbildung von Gemeindereferenten gebraucht wird. Das Prinzip, alles gemeinsam zu erarbeiten, was das Gemeindemitglied braucht, haben wir also sehr ernst genommen. Irgendwelche dilettantischen Spielchen kann man einer Gemeinde ja auch auf keinen Fall zumuten. Es verlangt sowieso schon viel vom Gottesdienstbesucher, einen solch ungewohnten Vorgang anzunehmen und mitzutragen.   

 

In der zweiten Phase unseres Bemühens haben wir dann versucht predigen zu lernen. Das ist sicher der schwerste Teil in der eigenständigen Gestaltung von Wortgottesdiensten. Zu diesem Zeitpunkt haben sich einige aus der Gruppe verabschiedet. Vielleicht trauten sie sich nicht zu, diesen Dienst wirklich zu übernehmen. Vielleicht meinten sie auch, sie würden in absehbarer Zeit dafür nicht benötigt. Wir haben darüber wohl nicht ausführlich diskutiert. Es war immer klar, dass jeder das Recht hatte, sich so zu entscheiden. Auch für diesen zweiten Teil der Arbeit haben wir ein ganzes Jahr oder mehr gebraucht. Dabei war es für mich sehr wertvoll, dass wir uns im Seminar vor der Priesterweihe intensiv um Verständnis und Praxis der Predigt bemüht haben. Manches davon konnte ich im AKGG den anderen weitergeben. Immer wieder neu war es dafür nötig, sich mit den Texten des jeweiligen Sonntags auseinanderzusetzen. Dann mussten wir herausfinden, welche Wahrheit sich aus der Botschaft für unser Leben heute ergibt,  das ist ja auch für viele Amtsträger nicht leicht. Die Mühe war beträchtlich, verhalf uns aber auch zu manch beglückender Erkenntnis im Glauben.

 

Vermutlich haben wir 1987 dann angefangen, im Gottesdienst zu predigen. In dieser Zeit konnten alle sieben Gottesdienste als Messe gefeiert werden. Das bedeutete, dass nur die Predigt (und vielleicht Einleitung und Fürbitten) von jemandem aus dem Arbeitskreis übernommen wurde. Das geschah einmal im Monat, meist in Heilig Geist oder im Paul-Schneider-Haus. Dieser Vorgang war gewöhnungsbedürftig für alle Beteiligten. Die Gelegenheiten wurden – wie bei anderen besonderen Gottesdiensten – angekündigt, damit niemand überrascht wurde, der diese Form nicht erleben mochte. Ich habe sehr kompetente Ausführungen erlebt, aber auch manchmal etwas holprige. Und die Eigenart der Einzelnen drückte sich natürlich auch deutlich aus. Ich habe das als erfreulich und angenehm empfunden. Möglichweise konnte das aber auch einen Hörer stören. Man kannte ja die einzelnen Prediger und hatte sie oft schon bei anderen, vielleicht privaten Gelegenheiten erlebt. Und sicherlich wird es auch eine ganze Reihe von Leuten gegeben haben, die von ihrer Vorstellung nicht loskamen, dass predigen nicht eine Sache von Laien sei.

 

Zu diesen Leuten gehörte wohl auch Kardinal Meisner. Denn irgendwann in der ersten Hälfte  der 90-er Jahre wurden wir „zitiert“. Für manche Kleriker war zu der Zeit das Wort „Laienpredigt“ ein rotes Tuch. Und dann hatten wir obendrein evangelische Pfarrer in der Messe predigen lassen und wohl noch sonst etwas Unmögliches begangen. Also durften wir zunächst beim Generalvikar, und als das nichts nutzte, schließlich beim Herrn Kardinal erscheinen. Natürlich hatte er kein besonderes Interesse an unseren Gründen, sondern sprach das erwartete Verbot aus.    

 

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