50. Katholische Vereine

Der Anlass für die folgenden Überlegungen liegt in einem Vorgang im Jahr 1980. Einige Hochdahler beschlossen, zusammen mit einem Pfadfinderbegeisterten aus Alt-Erkrath, einen Stamm der DPSG in Hochdahl zu gründen. Ohne vorher darüber zu sprechen schufen sie vollendete Tatsachen. Nicht nur die Überraschung war groß, sondern auch der Ärger über diese Nacht- und Nebelaktion. Denn eigentlich hätte es allen Interessierten bekannt sein müssen, dass wir beim Aufbau der neuen Gemeinde keine alten kirchlichen oder kirchennahen Vereine wiederbeleben wollten. Aber offensichtlich gab es in der Gemeinde eine Gruppe, die anderer Meinung war und die schien nicht ganz unbedeutend zu sein. Ein Jahr später schrieb einer aus dieser Gruppe einen Artikel in den Aspekten (März 1981). Darin erzählte er, wie erfreulich und erfolgreich sich das Leben der Pfadfinder in Hochdahl entwickelte. 

Schon mehrere Jahre vorher waren wir mit einer ähnlichen Situation konfrontiert worden. Einige Sandheider Bürger hatten den Wunsch, einen Schützenverein zu gründen. Dazu sollte einer der Geistlichen als Präses fungieren. Es ging dabei natürlich nicht um eine besondere seelsorgliche Betreuung. Aber laut Satzung sind sie keine Sebastianer, wenn sie keinen Präses haben. Der Kompromiss, der schließlich dabei herauskam, war ein fauler, und die Sandheider Schützen waren nie in der Franziskusgemeinde beheimatet, auch wenn sie jedes Jahr am Fest des hl. Sebastian am Gottesdienst in Sandheide teilnahmen.

Der Hintergrund für diese Neugründungen war in beiden Fällen der gleiche. Etwas, was man in der Vergangenheit erlebt und geschätzt hatte, sollte es auch in Hochdahl geben. Und so versuchten die Schützen, einen Ableger ihres alten Düsseldorfer Vereins zu installieren. Und die Pfadfinder wurden gegründet, weil einige ältere Gemeindemitglieder mit dieser Gemeinschaft gute und schöne Erfahrungen gemacht hatten.

 

Es war eine grundsätzliche Entscheidung, die wir an dieser Stelle treffen mussten. Hätten wir die Vereine mit offenen Armen als tragende Gruppierungen der Gemeinde aufgenommen, hätte die Hochdahler Gemeinde ihre Eigenart aufgegeben. Unser Bild von Gemeinde vertrug sich nicht mit dem, was da von uns erwartet wurde. Wir hatten unsere Arbeit in Hochdahl begonnen mit der Vorstellung, dass es für uns und die Neubürger um einen Aufbruch gehen müsste. Das hing zunächst damit zusammen, dass es ja eine Neubaugemeinde war, deren Zukunft davon abhing, was wir und die Neubürger daraus machen würden. Das Ziel war eine Gemeinde, in der man heute als Mensch und Christ leben kann. Deshalb verbot es sich, einfach die alten Formen der Pfarrei zu kopieren. Und wir waren geprägt vom Schwung des Konzils. Da war es doch wirklich um einen Neuanfang gegangen. Das Leben der Kirche sollte von den Verkrustungen der Vergangenheit befreit werden und sie sollte fähig werden, auf die Fragen der Menschen aus dem Geist Jesu und des Evangeliums eine Antwort zu geben. Mit einem solchen Hintergrund wollten wir in Hochdahl in und mit der Gemeinde neue Wege gehen. Das durfte natürlich nicht zu einem Aufbruch in eine beliebige Zukunft werden – nach unserem oder anderer Leute persönlichem Geschmack. Ein verbindliches Bild für den Weg des Glaubens ist Abraham, der von Gott gerufen aufbricht in das Land, das Gott ihm zeigen wird. Seine Geschichte war öfter Thema in unserer Arbeit mit Jugendlichen. Und es ist nicht zufällig, dass die Überschrift für einen der ersten Texte dieser Erinnerungen lautet: „Abraham, zieh fort, zieh fort“. Das war die Anfangszeile eines der beliebtesten Lieder von Père Cocagnac, dem neben Aimé Duval bekanntesten Sänger religiöser Chansons in unseren frühen Jahren. In deren Liedern nahmen wir teil an dem Aufbruch der Katholiken in Frankreich. Eine beglückende Phase neuen Lebens in der Kirche nach dem Konzil! (Vgl.Nr.4).

Wie sieht denn eine Gemeinde aus, die dem Aufbruch des Konzils folgt und in der man heute als Mensch und Christ leben kann. Um das zu klären scheint es sinnvoll zu sein, auf die Überlegungen zum Gemeindebild des Paulus im ersten Korintherbrief zurückzugreifen (Nr.13, Die Gaben des Geistes). Im 1.Korintherbrief, Kapitel 12, musste Paulus Stellung  nehmen zu einem Konflikt, der in der Gemeinde von Korinth aufgebrochen war. Dort gab es im Gottesdienst Leute, die „in Zungen redeten“. Das waren ekstatische Formen des Gebetes, die aber für die übrigen Teilnehmer nicht verständlich waren. Die Einstellung der „Konfliktparteien“ kann man sich leicht vorstellen. Die Ekstatiker hielten sich wahrscheinlich für besonders fromm und  gläubig, während die anderen sich gestört fühlten. Wir würden heute wahrscheinlich in einer solchen Situation zwei verschiedene Gottesdienste in getrennten Räumen oder zu unterschiedlichen Zeiten anbieten. Das heißt, wir würden das Problem organisatorisch lösen und dabei mit gesundem Menschenverstand vorgehen.

Und viele vernünftige Leute würden sagen, dass eine solche Lösung durchaus in Ordnung ist und ausreicht. Und an der Stelle berührt sich das Problem von Korinth mit dem von 1980 in Hochdahl. Die Fragestellung ist zwar eine andere, aber auch 1980 gab es eine praktische Lösung. Und ich vermute, dass eine Reihe Leute damit durchaus zufrieden waren. Es gibt immer verschieden Bedürfnisse. Und die konnte man jetzt mit Pfadfindern und Schützen und Kirche erfüllen. Man sorgt dafür, dass jeder bekommt, was er braucht.

Paulus löst das Problem ganz anders – und das halte ich auch für uns für verbindlich. Er stellt den Korinthern vor Augen, was die Gemeinde ist. Der Text lautet: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott. Er bewirkt alles in allen.“ (1 Kor 12, 4-6) Was in der Gemeinde also an Gaben sichtbar wird, ist nicht menschliches Wollen und Konstruieren, sondern das Handeln des Geistes, des Herrn, Gottes. Das bedeutet also und das gilt bis heute, dass das Leben der Gemeinde aus der Hand Gottes entspringt und durch seinen Geist gehalten wird. Wenn man das salopp ausdrücken will, könnte man sagen: die Gemeinde ist eine Veranstaltung Gottes in der Geschichte. Man kann auch einen Blick auf das Geschehen bei der Taufe werfen: „Wer glaubt und sich taufen lässt, empfängt den Heiligen Geist“. Weil er in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen wird, nimmt er teil an dem Geist, der diese Gemeinschaft prägt und lebendig hält. Entscheidungen, die in der Kirche gefällt werden, müssen deshalb im Hören auf diesen Geist entstehen. – Weil wir irrende Menschen sind, folgen wir oft nur unserem eigenen „gesunden Menschenverstand“. Es gibt ja sogar Leute, die meinen, stattdessen den Trends der Gesellschaft folgen zu sollen.

1980 wäre es darum richtig gewesen, vor dem Handeln sehr intensiv mit und in der Gemeinde darüber nachzudenken, was Pfadfinder oder Schützen im Zusammenhang mit der Gemeinde für eine Rolle spielen könnten und wie das zu organisieren wäre. Der gesunde Menschenverstand ist nötig, aber er genügt nicht.

 

Aus diesen Überlegungen müsste deutlich werden, dass wir nichts gegen die Vereine hatten, wenn wir keine ausdrückliche Gemeinsamkeit mit ihnen wollten. Es ging vielmehr darum, den Glaubensweg der Gemeinde nicht zu gefährden. Wir haben den Vereinen ja auch nie ihre Existenzberechtigung abgesprochen. Für viele Menschen und ihre Leben sind sie  unverzichtbar und sie haben zweifellos eine große Bedeutung für das gesellschaftliche Leben und die sozialen Beziehungen.  Das steht außer Frage und ist unabhängig davon, in welcher Beziehung sie zur Kirche stehen. Vielleicht wäre es eine gute Lösung, wenn beide Partner unabhängig voneinander ihre Sache machen würden und wenn sie dann, von eigenständiger Position aus, in Vertrauen und Wertschätzung einander begegnen.

Noch ein letzter Gesichtspunkt: die Pfadfinder als katholischer Verein mit Kurat und Gottesdienst im Pfingstlager sind keine zeitlose Einrichtung, sondern das Ergebnis einer geschichtlichen Situation. Von Hause aus haben die Pfadfinder ja keine religiösen Wurzeln. Baden Powell war Offizier und seine Ideen waren wohl philosophisch und pädagogisch fundiert. Aber dann kamen die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und die Jugendbewegung. Die hatte in Deutschland – neben vielen anderen wertvollen Impulsen – auch das Entstehen großer katholischer Verbände zur Folge. Und in dem Zusammenhang wurde 1929 die DPSG gegründet, die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg. Die „getauften Pfadfinder“ waren also das Ergebnis einer Mentalität, die damals katholische Großverbände für wichtig und wertvoll hielt.

Für einen anderen Großverband aus dieser Zeit ist gar nicht mehr so eindeutig, was er mit der Tradition anfangen soll. In und um Düsseldorf gibt es viele Sportvereine, die noch das Kürzel „DJK“ im Namen haben. Die „Deutsche Jugendkraft“ ist auch einer der katholischen Verbände, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden sind. Das „DJK“ steht noch im Namen und ob es noch eine Bedeutung hat, dürfte bei den verschiedenen Clubs unterschiedlich sein. Sollen die sich denn überhaupt noch mit dieser Frage beschäftigen? Oder sollen sie nicht einfach Fußball spielen und das mit Spaß und Erfolg. Und ihre religiösen Wünsche oder Prägungen sollen sie realisieren, indem sie intensiv am Leben einer Kirchengemeinde teilnehmen, aber nicht als DJK-Vereinsmitglieder, sondern als Glaubende und Mitglieder der kirchlichen Gemeinde.

Es wäre vermutlich hilfreich, diese geschichtlichen Zusammenhänge etwas genauer zu durch-  leuchten. Das kann allerdings nicht im Rahmen dieser Erinnerungen geschehen.

 

Anmerkung:

Viele Jahre später tauchte eine andere Deutung des Vorgangs von 1980 auf.

Darin hieß es, es sei damals die Stelle des Stammesleiters neu besetzt worden,

die über längere Zeit vakant gewesen sei. Danach habe sich der Stamm sehr gut entwickelt.

 

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