57. Trills und die Neue Stadt

In der Reihe der Texte über unsere Arbeit in der katholischen Gemeinde in der Neuen Stadt Hochdahl gab es schon relativ früh auch einen Artikel über Trills.– Dieser Text lag dann lange „auf Wiedervorlage“, weil mir weder der Inhalt  noch die Sprache gefiel. Er ließ nicht viel erkennen von der schwierigen  Situation, in der sich die Trillser beim Aufbau der Neuen Stadt befanden und enthielt stattdessen pauschale Urteile. Im  Anschluss an die Überlegungen zum Vereinshaus/Franziskushaus hatte ich den Eindruck, dass man den Weg von Trills/Alt-Hochdahl in die Neue Stadt genauer beschreiben sollte. Der Versuch soll gemacht werden.

 

Trills, zusammen mit Alt-Hochdahl, war der einzige Wohnbereich im Neubaugebiet, der eine eigene Tradition hatte. Die beiden anderen kleinen Wohngebiete, Millrath und Kempen, gehörten nicht dazu. Sie waren ursprünglich deutlich kleiner als Trills und waren erst in der jüngeren Vergangenheit durch neue Wohnbebauung gewachsen. 

Zumindest seit  Anfang des 20. Jahrhundert hatte Trills/Alt-Hochdahl eine lebendige Geschichte. Wenn man die Schilderungen in der Festschrift (Wassen 1985, vgl.Nr.56) auf sich wirken lässt, dann kann man ahnen, wie viel in der Vergangenheit in diesem Dorf los war und wie bewusst die Bewohner das gemeinsame Leben gestaltet haben. Alles spielte sich ab rund um Kirche, Pfarr- und Vereinshaus und entlang der beiden Häuserzeilen an der Hildener Straße. Die 20-er Jahre des vorigen Jahrhunderts waren für den Katholizismus in Deutschland eine wichtige Phase. Katholische Gruppierungen wurden in Verbänden auf der Ebene ganz Deutschlands zusammengefasst und hatten Mitgliederzahlen von mehreren Hunderttausend. Der im vorigen Text erwähnte Fußballclub in Trills gehörte zum Beispiel zur DJK, der „Deutschen Jugendkraft“, einem Verband von Sportvereinen, die als katholische Vereine firmierten (vgl. Nr.50, Katholische Vereine.). Auch nach dem zweiten Weltkrieg war Trills noch ein lebendiger Ort. Auf einem Bild der Kolpingsfamilie von 1948 konnte man noch 62 Mitglieder zählen. Und 45 weibliche Jugendliche wurden in diesem Jahr in den Marienbund aufgenommen. Diese „goldenen Zeiten“ waren allerdings 1960/65 schon  Vergangenheit. Die Eisenhütte hatte ihren Betrieb inzwischen eingestellt. Die wirtschaftlichen Bedingungen für Trills/Alt-Hochdahl waren deutlich schwieriger geworden. Manche Einzelhändler, Handwerker oder Gastwirte hatten den Ort schon längst verlassen. Aber an ihrer Vergangenheit, ihrer  Geschichte, ihrer Tradition hielten die Trillser unbekümmert fest. Vielleicht gerade deswegen, weil die Gegenwart nicht mehr so rosig war.

Als der Aufbau der neuen Stadt Hochdahl begann, haben viele Altbewohner das als eine Bedrohung ihrer Lebensgewohnheiten erlebt. Und es ist ihnen sehr schwer gefallen, sich mit der neuen Situation abzufinden. Natürlich waren die Altbaugebiete nicht in ihrer Existenz bedroht; sie sollten ja in die neue Stadt integriert werden. Aber es war abzusehen, dass sie viel von ihrer früheren Bedeutung verlieren würden. Trills/Alt-Hochdahl war inzwischen ein kleiner Bereich mit einer begrenzten Einwohnerzahl. Und was da geplant und bald schon begonnen wurde, war aus Trillser Perspektive sicher riesengroß. Heute ist Trills/Alt-Hochdahl ein normaler Ortsteil von Hochdahl mit einer ähnlichen Bebauung wie die anderen Stadtviertel. Aber am Anfang konnte man schon die Sorge haben, dass das Neubaugebiet diese alten Reste erdrücken würde – kleine Gebiete, umgeben von einer riesigen neuen Stadt. Dabei dürfte es auch eine Rolle gespielt haben, dass das Neubaugebiet ursprünglich für 45.000 Einwohner geplant war. Es ist möglich, dass diese Angst und Sorge in den ersten Jahren dazu führte,  dass die Trillser immer wieder maulten und sich beklagten. Sie wollten halt ihre Existenz verteidigen. Und für diesen Teilaspekt war unser Pauschalurteil vielleicht sogar zutreffend: „Die Trillser halten am Alten fest“. In den ersten Jahren führte das auch zu manchen Aggressionen, die sich gegen die Stadtplanung richteten. Das ist schon ganz am Anfang dieser Erzählungen erwähnt worden (Nr.3).

Für die kirchliche Situation in Trills gab es diese Schwierigkeiten und Konflikte am Anfang noch nicht. Bis 1972 schien die Welt noch in Ordnung. Das Neue hatte sich zwar schon angekündigt durch die Renovierung des Innenraums der Trillser Kirche und die Gründung der Ehekreise. Aber Pfarrer Hans Meixner lebte nach wie vor im alten Pfarrhaus neben der Kirche und Gerd Verhoeven wohnte 100 Meter weiter unten (Hildener Straße 110). Nachdem Anfang 1972 Heilig Geist eingeweiht worden war, zog Gerd Verhoeven in die Sandheide, Pfarrer Hans Meixner verließ Hochdahl und Josef Metternich, der eigentlich in das schon für ihn renovierte Trillser Pfarrhaus einziehen sollte, kam nicht (wegen des akut werdenden Priestermangels, wie die Kölner Personalabteilung mitteilte). Das Pfarrhaus neben der Trillser Kirche blieb leer. Kein Pfarrer! Ich kann versstehen, dass diese Situation für die Trillser ganz unerträglich war. Und die Parole tauchte auf: „Dann muss der Staßen eben nach Trills ins Pfarrhaus!“ Irgendwie erreichte mich ein solcher Spruch. Eine offizielle Aufforderung dazu gab es allerdings nicht. Für einige Leute in Trills war diese Vorstellung sicher naheliegend, für mich war sie völlig undiskutabel. In Trills neben der Kirche? Das bedeutete: auf dem Präsentierteller, volle soziale Kontrolle, vor allem mit dem Maßstab des Priesterbildes, das in Trills selbstverständlich war. – Und dann wurde das Pfarrhaus – vermutlich 1974 – auch noch an einen Nichtpriester mit seiner Frau vermietet. In diesen Jahren hörte man dann von den „Betroffenen“ auch immer wieder deutliche Klagen. Wie oft haben gute Katholiken darauf hingewiesen, dass der Pfarrer früher jede Woche wenigstens kurz zur Probe des Kirchenchores kam. Und sie haben darüber gemault, dass jetzt keiner (von den jungen Geistlichen) mehr erscheinen würde. Und keiner lebte mehr bei ihnen in der alten Pfarrei, alle wohnten sie in den neuen Stadtvierteln. Ich kann verstehen, wenn die Trillser das Gefühl entwickelten, dass man sie im Stich gelassen hätte.

Wie sich die Bedeutung von Trills auch kirchlich veränderte, lässt sich an einem anderen Beispiel zeigen. In Hochdahl gab es 1969 schon einen Jugendchor und eine Combo für die Jugendmessen. Das ist in Nr.8 „Gottesdienst“ schon erzählt. Wenn es vor 1972 eine Jugendmesse gab, dann fand die selbstverständlich in St.Franziskus statt. Eine andere Möglichkeit gab es ja nicht. Nachdem „Heilig Geist“ fertig geworden war, haben wir praktisch keine Jugendmesse mehr in Trills gefeiert. Und die Musicals fanden natürlich auch in Sandheide statt. Die Ursache war nicht eine Antipathie gegen Trills, sondern es lag an einer Eigenart der neugotischen Trillser Kirche. Sieben Sekunden Nachhall machten es unmöglich, rhythmische Lieder zu singen, deren Texte die  Teilnehmer verstehen sollten. Für mehrstimmige Messen mit Orgelbegleitung war diese Akustik dagegen fast ideal. Die Entwicklung von Trills hatte also offensichtlich auch damit zu tun, was in Trills oder anderswo gut oder weniger gut möglich war.

Eine wichtige Persönlichkeit in der Trillser Szene hat mir irgendwann einmal gesagt, ich sei ja wohl gegen Tradition. Vermutlich war das in der zweiten Hälfte der 70-er Jahre. Gegen diese Aussage habe ich mich gewehrt. Innerlich und auch in der Argumentation habe ich mich darauf berufen, dass sich die für uns verbindliche Tradition  aus der Botschaft Jesu ergibt und dass ich insofern sehr deutlich an Tradition gebunden bin. Damit hatte ich dem Herrn klar gemacht, dass wir auf dem richtigen Weg seien. Aber ich hatte seine Anfrage überhaupt nicht aufgenommen und meine Antwort ging an seiner Sorge völlig vorbei. Ihm ging es um die Tradition in Trills. Und dazu gehörte vermutlich zunächst das Zusammenleben in der Dorfgemeinschaft, dazu gehörten die Aktivitäten der Vereine. Das war ihm sicher wichtig. Aber wenn er mich darauf ansprach, meinte er vielleicht vor allem die Gemeinschaft rings um Kirche und Pfarrhaus. Vielleicht war das sogar das tragende Element des Zusammenlebens in Trills. Wo die Kirche ist, da ist auch der Pfarrer und wo der Pfarrer ist, da ist auch die Gemeinde – die sich sonntags im Gottesdienst versammelt, an Fronleichnam in der Prozession Gott um seinen Segen für die Bewohner bittet und seine Nähe lebendig erfahrbar werden lässt. Dieses Kirchenbild in der Reihenfolge „Kirche – Pfarrer – Gemeinde“ habe ich in einem sehr frühen Artikel in den „Aspekten“ (Dezember 1973) skizziert und behauptet, das sei das Bild, dem die Trillser anhängen würden. Wenn diese Interpretation richtig war, dann fehlte den Mitgliedern der Gemeinde in Trills ein Glied in ihrer religiösen Bindung, wenn kein Priester mehr im Pfarrhaus wohnte. Ob die Situation wirklich so problematisch war und von den Leuten auch so empfunden wurde, ist allerdings schwer zu entscheiden.

Auch der Kirchenchor hatte eine ihm eigene Tradition, die sich in den späten 70-er und den 80-er Jahren massiv und für die Sänger belastend veränderte. Als ich anfangs in Hochdahl war, erzählten die Mitglieder immer wieder mit viel Begeisterung, wie toll die Feier beim 90-jährigen Jubiläum gewesen war – mit Dvorak-Messe und allen anderen Ereignissen drum herum. Offensichtlich eine sehr prägende Erinnerung. Als dann der sehr fähige Organist und Chorleiter in den Ruhestand ging und wegzog, fand der Chor lange Zeit keinen neuen Anfang. Nun war in dieser Zeit in der Kirche musikalisch vieles lebendig. Aber die Anregungen, die von Taizé oder den rhythmischen Liedern ausgingen, konnte der Chor nicht aufnehmen. Seine große Zeit war von einer anderen Musik und einer anderen Mentalität geprägt gewesen. Und diese ihre Tradition fanden sie lange Zeit nicht wieder. Erst in ganz späten Jahren, als sie sich mit einem Kirchenchor aus Garath zusammentaten und der dortige Chorleiter beide Chöre übernahm, konnten sie wieder etwas von ihren alten Idealen pflegen.

 

Es war zweifellos eine hervorragende Idee des Stadtplaners, dass das Neubaugebiet in einzelne „Quartiere“ oder Stadtviertel gegliedert werden sollte. Die Kirchengemeinden haben sich diesem Konzept angeschlossen. Das bedeutete, dass Trills eines dieser Quartiere werden musste. Das war für die Trillser ein schmerzlicher Prozess, waren sie doch jahrzehntelang ein wichtiger kleiner Mittelpunkt zwischen Haan, Hilden und Erkrath gewesen. In Zukunft konnten sie Mittelpunkt nicht mehr sein, vor allem nicht ein Mittelpunkt für die Neue Stadt. Sie mussten sich daran gewöhnen, eines von sieben Quartieren zu sein. Und das sind sie schließlich auch geworden. – In der katholischen Gemeinde haben wir Trills von Anfang an so behandelt. Die Seelsorge haben wir selbstverständlich nicht anders betrieben als im übrigen Hochdahl, in den anderen Quartieren. In der Erstkommunionvorbereitung war Trills ein eigener Bezirk, für den natürlich einer der Hauptamtlichen zuständig war. Die Sechseckschule (Grundschule an der Hildener Straße) hatte sogar jahrelang jeden Dienstag Schulmesse in der Franziskuskirche; das war mehr als in den anderen Schulen. Sonntags gab es zwei Gottesdienste; auch das war ein gutes „Angebot“. – Trills wurde also von einem kleinen Mittelpunkt zu einem Quartier unter anderen. Diese Veränderung dürfte die Ursache gewesen sein für die Spannungen und Konflikte in den Jahren nach 1972. Wenn man sie so interpretiert, wird deutlich, dass die Schmerzen nicht vermeidbar waren. Hätten wir sie zu Anfang schon verstanden, hätten wir die Trillser vielleicht besser dabei begleiten können.

Als Stadtviertel, als Quartier war Trills gut ausgestattet mit Kirche, Kindergarten und Franziskushaus. Das galt in gleicher Weise für Sandheide, wo in dem Gemeindezentrum seit 1972 alle notwendigen Räume vorhanden waren. In Millrath standen Pfarrheim und Kindergarten nebeneinander, das evangelische Paul-Schneider-Haus war als Raum für den Gottesdienst nur eine kleine Strecke davon entfernt.  Nur in Alt-Hochahl gab es außer der evangelischen Kirche für den Gottesdienst für die katholische Gemeinde keinen Kindergarten und kein Pfarrheim. – Die räumliche Struktur für die katholische Seelsorge war also im Endausbau sehr gut in den Bereich der neuen Stadt eingepasst. Die vielen Überlegungen, Diskussionen und Planungen hatten sich gelohnt.

Als die Diözesanleitung 2007/2010 meinte, die Hochdahler Gemeinde sei nicht mehr richtig katholisch und müsse wieder enger an Köln gebunden werden, da wurde diese Struktur zerstört. Am schlimmsten war für das Gemeindeleben, dass im Paul-Schneider-Haus und in der Neanderkirche kein Gottesdienst mehr stattfinden durfte. Ich glaube, dass dadurch in der ganzen Osthälfte der Neuen Stadt und auch in Alt-Hochdahl das religiöse Leben verkümmerte (soweit es die Katholiken betraf). Und das wäre eigentlich vorauszusehen gewesen.

Bei dieser Aktion der Diözese entstand gleichzeitig die Gefahr, dass Trills gegenüber seinem Status als einfaches Stadtviertel wieder aufgewertet wurde. Mein Nachfolger zog nämlich in das Pfarrhaus neben der Kirche, obwohl dem Ehepaar Ballhaus vorher für mehrere Jahre dort Wohnrecht zugesichert worden war – per Kirchenvorstandsbeschluss. Aber in Trills stand natürlich die alte Kirche und wo die Kirche ist, da muss auch der Pfarrer wohnen, und wo der Pfarrer ist, da ist die Gemeinde. Ich weiß nicht, ob irgendwem bewusst war, dass damit in Trills die Situation vor 1972 und vielleicht auch das Kirchenbild der alten Trillser restauriert wurden. (Siehe oben unter „Tradition in Trills“). – Ich habe die ganze Zeit, die ich in Hochdahl gelebt habe, in der Willbeck gewohnt. Die Neue Stadt war für mich ein Gebilde von sieben Stadtvierteln. Der Mittelpunkt war der Hochdahler Markt. Das Haus der Kirchen war der Mittelpunkt für die katholische und die evangelische Gemeinde.  – Wird jetzt Trills so etwas wie ein Ersatz-Zentrum? Und was wird dann aus den anderen Quartieren der Neuen Stadt?

 

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