33. Keine Ministersessel!

Von Pius X soll der Ausspruch stammen: „ Der Priester ist so hoch über den Gläubigen wie der Himmel über der Erde.“ Diese Aussage wurde in den Zeiten des Konzils zitiert, um die Stärke des Umbruchs zu verdeutlichen, der mit der wiederentdeckten Würde aller Gläubigen und der Einheit des gesamten Gottesvolkes stattgefunden hatte. Der Spruch macht auch deutlich, wie sehr zeitgebundene Vorstellungen die Botschaft des Evangeliums verdecken können. Denn das Evangelium sagt etwas ganz anderes als Pius X.

 

Jakobus und Johannes haben einen Wunsch. Nachzulesen im Markusevangelium Mk 10, 35 – 45. Bei dem lebens- und kirchenerfahrenen Matthäus ist es die Mutter der beiden, die den Wunsch äußert. Die beiden sollen bzw. wollen rechts und links neben Jesus sitzen in seinem Reich. Sie wollen sich Ministersessel reservieren. Man kann diesen Wunsch verständlich finden. Denn wer möchte nicht wichtig sein und etwas zu sagen haben. Und da unterscheiden sich die Jünger offensichtlich überhaupt nicht von uns allen. Zudem wollen sie ja neben dem Meister sitzen. Sie wollen in seiner Nähe, in seinem Auftrag handeln; gehören sie doch schon seit einiger Zeit zu seiner Gefolgschaft.

„Ihr wisst nicht, um was ihr bittet.“ Die Reaktion Jesu ist deutlich. Gegen das Ansinnen der beiden stellt er sein eigenes Lebensschicksal, seine Hingabe bis zum Tod. Und Jesus verteilt keine Ministersessel!

Und dann folgt die grundsätzliche Regel für den gesamten Jüngerkreis, verbindlich für die Apostel, die Gemeindevorsteher der jungen Kirche und die Amtsträger der Kirche heute. „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein…“

 

Es gibt im Evangelium noch mehrere Stellen, wo erzählt wird, wie groß die Gefahr für die Jünger Jesu ist, herrschen zu wollen. „Sie hatten unterwegs darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei.“ (Mk 9,34) Und es ist für Jesus offensichtlich ein großes Anliegen, sie vor dieser Gefährdung zu bewahren. An dieser Stelle bei Markus ist es ein Kind, das ihnen die richtige Haltung vor Augen führen soll.

 

Das Wort „Ministersessel“ könnte dazu verführen, diese Gefährdung für uns heute zu unterschätzen. Wer will schon Minister werden? Aber in der Kirche Karriere zu machen, ist doch offensichtlich für manche etwas durchaus Positives. Ich denke, dass dieses Bedürfnis auch unter das Verdikt Jesu fällt. Viel verbreiteter scheint mir allerdings die Gefahr, dass man in der Pfarrei einem autoritären System vorsteht. Das ist deshalb so gefährlich, weil der betreffende Leiter der Pfarrei (ich habe ihn schon öfter mit dem Titel „Pfarrherr“ versehen) sich eines Herrschaftsverhaltens überhaupt nicht bewusst ist. Man hat die Aufgabe der Leitung, man hat die theologischen Kenntnisse, man hat die Weihe, man hat die Verantwortung und man hat die Verpflichtung zu entscheiden. Und wer die Verantwortung dann als Druck erlebt – und wenn Enttäuschung und Angst dazu kommen – dann erscheint  ein autoritäres Verhalten oft als Rettung in der Not. Man meint es gut und gibt sich viel Mühe und prägt einen autoritären Laden. Denn auch die „Untergebenen“ eines solchen Leiters reagieren systemkonform. Schüler wissen zum Beispiel sehr schnell, wie sie mit einem autoritären Lehrer umgehen müssen, damit sie schadlos über die Runden kommen: sich ducken, wenn es Gewitter gibt – sagen, was der Chef wahrscheinlich hören will – nicht erkennen lassen, was man wirklich meint – wissen, wer in der Gruppe auf der eigenen Seite steht und wer nicht. Die weniger cleveren Typen werden sich vor allem ängstlich in sich selbst zurückziehen. Die Schüler reagieren angepasst und unterstützen dadurch das System.

Es gibt deutliche Anzeichen, wenn eine Pfarrei autoritär strukturiert ist. Dann haben Gemeindemitglieder Angst, dass ihre Meinung öffentlich werden könnte und bitten in der entsprechenden E-Mail, doch dies oder jenes nicht weiterzugeben. Dann taucht immer wieder im Gespräch das Argument der „Tradition“ auf: „das haben wir immer so gemacht“. Das erspart den Gesprächspartnern die Klärung, was jetzt besser getan werden sollte. Denn dabei könnte man ja dem anderen unterlegen sein. Dann wird wichtig, welche Position man in der Pfarrei einnimmt; und die erworbene Position stärkt man immer wieder durch erkennbare Anstrengungen. Dann werden Zuständigkeiten wichtig – auch wenn die Zuständigen das, was man von ihnen erwartet, überhaupt nicht leisten können. Man mault und wäscht sich die Hände in Unschuld. Der Fehler liegt im System und nicht an der Bosheit der Menschen.   

Hat sich ein solches System aber etabliert, ist es sehr schwer zu heilen. Das erste ist sicher die Erkenntnis, dass es sich um ein Herrschaftssystem handelt. So lange man den Status quo verteidigt, indem man auf den eigenen guten Willen verweist, gibt es keine Chance. Die befreiende Alternative heißt vermutlich Kommunikation. Und damit ist nicht gemeint die Information über die Veranstaltungen in der Pfarrei und auch nicht der große Plan im Büro, in dem alle diese Veranstaltungen eingetragen werden. Gemeint ist ein anderes Bild von Gemeinde, in dem jeder mit seiner Gabe zu Wort und Wirkung kommen kann und wo die vielen Gaben sich zu einem gemeinsamen Erkenntnis- und Entscheidungsprozess vereinigen können. Über diesen Weg ist ja schon hinlänglich gesprochen worden.

 

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