24. Gemeindekatechese 1

Erstkommunion

Es war anscheinend auch ein Wandel, der in der Luft lag: im Jahre 1973 haben wir die Erstkommunionvorbereitung auf  kleine Gruppen umgestellt. Diese Veränderung war keine Folge unserer speziellen Situation in der neuen Stadt Hochdahl, sondern sie wurde fast zur gleichen Zeit in sehr vielen Gemeinden der westdeutschen Diözesen vollzogen. Offensichtlich hatte sich auf breiter Front die Einsicht durchgesetzt, dass die alte Form der Vorbereitung doch beträchtliche Schwächen hatte.

In den ersten Jahren in der neuen Stadt haben wir die alte Praxis noch beibehalten. Der Pfarrer und die Kapläne gaben den „Kommunionunterricht“, in den Räumen der Grundschulen, mit Gruppen von 30 bis 40 Kindern, mit klar definierten Lerninhalten und abfragbaren Ergebnissen. Ich selbst habe so noch die Kinder von Willbeck in der Grundschule unterrichtet, als ich 1970 nach Hochdahl kam. Diese Praxis hatte eindeutige Nachteile. Die jeweilige Gruppe war zu groß, um eine Gemeinschaft mit intakten Beziehungen werden zu können. Die Vorbereitung war auf den Pfarrer zentriert. Und die Rolle der Eltern bei der Weitergabe des Glaubens drohte sich zu verflüchtigen. Im bisherigen Rahmen hatten die Eltern den Glauben der Kinder in der Familie grundgelegt und der Pfarrer wurde dann beim Beicht- und Kommunionunterricht tätig. Das war eine passable Arbeitsteilung zwischen Eltern und Pfarrer. Aber mit der Auflösung des katholischen Milieus waren offensichtlich immer weniger Eltern fähig oder bereit, ihren Kindern den Glauben in der Familie zu vermitteln.

Deswegen haben wir uns für die Umstellung entschieden. Die normalen Gemeindemitglieder haben den Auftrag, die Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion zu übernehmen. Und das wollen die auch und sie können es. Und wir, die Gemeindeleitung und schon trainierte Gläubige, müssen sie dabei unterstützen, ermutigen und befähigen. Dieser Perspektivenwechsel ist doch eigentlich ganz einfach, macht aber offensichtlich bis auf den heutigen Tag allen Verantwortlichen große Schwierigkeiten. Das Prinzip lautet: Erstverantwortlich ist die Gemeinde, der Klerus muss Hilfestellung geben.

 

Im Jahre 1973 hatten wir in Hochdahl 194 Kommunionkinder. Die fanden sich in kleinen Gruppen von fünf bis sieben Kindern zusammen. Ein oder zwei Erwachsene begleiteten jede Gruppe auf ihrem Weg zur ersten heiligen Kommunion. Diese Begleiter waren grundsätzlich Eltern von einem der Kinder; in diesem Alter ist es noch normal, dass ein Kind in der Gruppe ist, die vom Vater oder der Mutter begleitet wird. Diese Gruppe der Eltern – es gab nur eine für ganz Hochdahl – war also rund 30 Personen stark. Sie trafen sich alle zwei Wochen, um sich auf die beiden dann anfallenden Treffen mit den Kindern vorzubereiten. Im Laufe der Jahre war es üblich, dass einer der Geistlichen und ein oder zwei Gemeindemitglieder, die in der Arbeit schon Erfahrung gesammelt hatten, die Vorbereitung der Begleiter verantworteten. Dabei ist es sicher auch immer wieder vorgekommen, dass „die Stunden vorbereitet“ wurden. Selbst vorgefertigte Stundenentwürfe soll es gegeben haben. Besser war es allerdings, wenn der Inhalt des nächsten Treffens mit den Kindern zunächst einmal für die Eltern zum Thema gemacht wurde. Denn weitergeben kann man ja nur das, was man zuerst für sich selbst in Frage gestellt und ein Stückchen weit geklärt hat. Wenn ein Kind zum Beispiel fragt, ob es auf die Hostie beißen darf (ein Problem aus eigenen Kindertagen), dann setzt die Antwort ein einigermaßen geklärtes Verständnis von Eucharistie voraus. Und diese Klärung kann auch für Erwachsene spannend sein. Da gehen einem ganz neue Einsichten auf! Belastende Missverständnisse lösen sich auf und man erlebt, dass der Glaube gut tun kann. – Die Begleiter hatten auch immer eine Mappe oder ein Buch als Hilfe für ihre Arbeit. Auch beim Umgang mit dieser Anleitung war es wichtig, nicht feste Vorgaben zu übernehmen, sondern sich die angebotenen Möglichkeiten intensiv anzuschauen, um mit der Thematik vertraut zu werden, um dann einen eigenen Leitfaden für das Treffen mit den Kindern zu entwickeln.

 

1973 verteilten sich die etwa 30 Gruppen auf vier Stadtviertel: Trills, Millrath, Willbeck und Sandheide. Für jedes Viertel war ein Seelsorger zuständig. Er hatte schon vor Beginn die Kinder mit Brief an die Eltern eingeladen und musste die Zusammenstellung der Gruppen in seinem Viertel organisieren. Wir legten in den ganzen Jahren Wert darauf, dass die Kinder sich für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe selber entscheiden konnten. In jedem Viertel  trafen sie sich zur Gruppenfindung in der Kirche oder im Pfarrsaal oder in der Schule. Nach einer kurzen Einführung verteilten sich die Katecheten im Raum. Und dann hieß es für die Kinder: „Entscheidet, zu welcher Mutter (Vater) ihr in die Gruppe wollt, geht zusammen mit euren Freunden dahin und achtet darauf, dass die Gruppe nicht mehr als fünf bis sieben Kinder hat.“ Und dann ging die Rennerei los. Diese Einteilung war nicht immer ganz einfach und es gab auch oft Tränen, wenn die spontane Entscheidung der Kinder eine Gruppe von 12 Mitgliedern zustande gebracht hatte, die dann mit viel Mühe und zahlreichen Lösungs-vorschlägen aufgeteilt werden musste. Diese Schwierigkeiten haben wir in Kauf genommen, damit die Gruppe eine Chance hatte, zu einer guten Gemeinschaft zu werden.

Kinder und Begleiter trafen sich zwischen Januar und Mai einmal in der Woche, üblicherweise in der Wohnung der Begleiterin, damit die Kommunionvorbereitung in den familiären Rahmen eingebettet war. Die Gruppen gingen ihren eigenen Weg auf die   Erstkommunion zu. Sie wurden nicht kontrolliert, weil sie für ihr Zusammensein und ihre Arbeit eine Atmosphäre des Vertrauens erleben sollten. Wir haben die Leiterinnen der Gruppen normalerweise Katecheten genannt, aber vielleicht ist dieser Ausdruck noch zu sehr mit der Vorstellung von Unterricht verbunden, so dass „Begleiter“ das bessere Wort ist, das wir dann später in der Firmvorbereitung ausnahmslos verwendet haben.

 

Wichtig war uns verständlicherweise das Gespräch mit den Eltern. Der zuständige Geistliche lud die Eltern von zwei Gruppen ein, und zwar zwei oder drei Mal während der Zeit der Vorbereitung. Jeder hatte dann also zwölf oder vierzehn oder noch mehr abendliche Termine für diese Gespräche. Das war ein sehr hoher Arbeitsaufwand. Aber der überschaubare Kreis und die familiäre Umgebung machten es möglich, dass die wirklichen Fragen und Probleme zur Sprache kamen, die die Menschen mit ihrem Glauben hatten. In der Realität mussten wir natürlich Abstriche an diesem Programm vornehmen, aber es blieb dabei trotzdem klar, wie wichtig uns diese Form der Erstkommunionvorbereitung für den Aufbau einer lebendigen Gemeinde war.

 

Die Feiern der Erstkommunion waren nicht am Weißen Sonntag, sondern normalerweise an den Sonntagen im Mai. Dabei hatten wir im Laufe der Jahre bis zu acht verschiedene Feiern. Die Kinder von Sandheide und Willbeck feierten ihre Kommunion in Heilig Geist, die Kinder von Trills und Millrath in St.Franziskus. Eigenartigerweise waren die Eltern von Millrath in all den Jahren nie bereit, die Erstkommunion im Paul-Schneider-Haus zu feiern, obwohl das für sie der Ort der Sonntagsmesse und der gesamten Vorbereitung war. Für die Erstkommunion wollten sie in jedem Fall eine „richtige Kirche“ und deshalb musste es Trills sein. Für mich ist das auch ein Symptom, wie schlecht man von alten Bildern loskommt.

Diese Form der Vorbereitung hat einige deutliche Vorteile. 1. Die Eltern übernehmen die Hinführung ihrer Kinder zur Erstkommunion. Das war nicht so neu wie es auf Anhieb scheint. Die Eltern haben immer für die Grundlegung des Glaubens gesorgt – bis in unsere Tage. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mit mir – damals vermutlich etwa fünf Jahre alt – vor der Krippe in der Wohnung stand und mir alles erklärte, was es zu sehen gab – Schafe und Hirten, der Brunnen im Hang, der Stall und Ochs und Esel, Maria und Josef und das Christkind. Und welche Bedeutung hat es, wenn an Weihnachten vor dem Auspacken der Geschenke gemeinsam die Weihnachtslieder gesungen werden! Und wenn die Eltern Sonntag für Sonntag die Kinder mitnehmen in die Kirche! Das hat auch nicht alles nur der Pfarrer gemacht. Und wenn dann die Eltern die Vorbereitung auf die Erstkommunion übernehmen, dann ist das nur eine neue Form einer uralten, selbstverständlichen Verantwortung der so genannten Laien. – 2. Die Kinder treffen sich in einer kleinen Gruppe. Dadurch entsteht die Möglichkeit, dass die Vorbereitung sich im Lebenshorizont der Kinder vollzieht. Sie können von sich erzählen, sie können Beziehungen untereinander aufnehmen oder intensivieren, sie können miteinander überlegen und fragen und sich gegenseitig Antworten geben. Sie können miteinander etwas erleben. Die Botschaft des Glaubens kann Bedeutung gewinnen in den normalen Lebensvollzügen der Kinder. Die Erfahrung der Gemeinschaft war für die Kinder sehr wertvoll. Wir haben deshalb in dieser Zeit öfter überlegt, ob wir nicht vor der Kommunionvorbereitung einen Kurs anbieten sollten, um Vertrauen, Beziehungen und Gemeinschaft noch ausdrücklicher zu trainieren. Leider ist es dazu nie gekommen.  – 3. Die Treffen finden in den Wohnungen statt. Das bedeutet, dass man die Erfahrungen des Glaubens nicht nur in den Räumen der Pfarrei, sondern entscheidend auch im familiären Umfeld macht. Damit ist die Chance verbunden, dass Glaube und Leben nicht so selbstverständlich auseinander fallen.

 

Wenn diese Form der Erstkommunionvorbereitung ihre ganzen Möglichkeiten entfalten soll, muss sie allerdings konsequent durchgeführt werden. Man muss zulassen, dass die Eltern ihre Aufgabe eigenständig und selbstverantwortlich wahrnehmen dürfen. – Man verpasst den Sinn der Umstellung, wenn jemand dem Pfarrer Arbeit abnehmen will und deshalb bereit ist, eine Kindergruppe zu begleiten. Das war eine Begründung, die in den ersten Jahren häufig vorgebracht wurde. Es ist ja lobenswert, wenn Gemeindemitglieder hilfsbereit sind. Aber bei dieser Begründung bleibt die Vorbereitung der Kinder „die Arbeit des Pfarrers“ und die Gemeinde kann ihrem Auftrag nicht nachkommen, zu dem sie durch Taufe und Firmung berufen und befähigt ist. – Die Katecheten sollten jedes Jahr neu aus den Eltern angeworben werden. Es macht zwar eine Menge Arbeit, die Thematik in jedem Jahr neu zu erarbeiten, aber Eltern und Kinder profitieren davon. Und im Laufe der Jahre wächst in der Gemeinde die Schar derer, die sich mit ihrem Glauben intensiv auseinandergesetzt haben. Wenn man den Eltern vermitteln kann, wie viel man bei diesem Einsatz für sich selbst gewinnt, dann werden sie mit innerer Genugtuung – wenn auch vielleicht mit einiger Mühe – dabei sein. Jedenfalls ist das eine Erfahrung, die wir in vielen Jahren mit der „Gemeindekatechese“ gemacht haben.

 

Die Umstellung der Erstkommunionvorbereitung war eine massive Veränderung. Von den Reaktionen in der Gemeinde berichtet ein Artikel von Günter Schuster in der zweiten Nummer der Aspekte vom März 1973. Darin heißt es: „Selten hat es in den vergangenen Jahren in unserer Pfarrgemeinde eine derart heftige Diskussion gegeben wie zu diesem Experiment. Von hochgestimmter Bejahung bis zur absoluten Verneinung ging es quer durch die Pfarre.“ – Vielen Gemeindemitgliedern war die Neuerung willkommen. Sie waren inzwischen daran gewöhnt, sich für die Zukunft der Franziskusgemeinde mitverantwortlich zu fühlen. Sie betraten allerdings auch Neuland. Denn es handelte sich ja nicht um die Teilnahme an einer Pfarrversammlung oder um eine Aufgabe in Pfarrgemeinderat oder Kirchenvorstand. Sie übernahmen jetzt Mitverantwortung für die Weitergabe des Glaubens und das als Dienst der Gemeinde, also nicht mehr wie früher im Umfeld der Familie. Dass man ihnen das zutraute, hat viele stolz und mutig gemacht. Bis auf den heutigen Tag wird etwas von Begeisterung und Freude hörbar, wenn über die Zeit damals gesprochen wird. – Es gab auch heftigen Widerstand. Der ergab sich zum Teil daraus, dass die Eltern meinten, bei der alten Form würden die Kinder besser vorbereitet. Noch nach Jahren, als sich die Gruppenarbeit längst durchgesetzt hatte, gab es immer wieder Anfragen, ob die Kinder denn nicht das Glaubensbekenntnis und die zehn Gebote auswendig lernen müssten. Und das Bild des Pfarrers, der sich liebevoll um „seine“ Kommunionkinder kümmert und sie durch seine Persönlichkeit an die Kirche bindet, wurde auch immer wieder beschworen. Und immer wieder ertönte der Ruf nach dem „Fachmann“, weil viele Eltern sich nicht für fähig hielten, den „Unterricht“ zu geben. Dafür war doch der Pfarrer zuständig, der hat ja schließlich Theologie studiert. Dass es bei der Hinführung zur Erstkommunion nicht in erster Linie um Vermittlung von Katechismuswissen geht, sondern um die Weitergabe des eigenen Glaubens, war auch nach Jahren oft nicht zu vermitteln. – Bei dem Widerstand haben manchmal vielleicht auch zwischenmenschliche Probleme eine Rolle gespielt. „Ehe ich mein Kind dieser Frau anvertraue, mache ich es doch lieber selber.“ Den Satz habe ich zwar nie wirklich gehört. Aber wenn jemand sich selbst nicht zutraut, eine Gruppe zu begleiten, dann liegt die Frage nahe, wieso die andere Mutter meint, sie wäre dazu in der Lage. Solche Unsicherheit hat sicher bei der Findung der Katecheten oft eine Rolle gespielt. In den meisten Fällen war das Vertrauen dann stärker als die Sorge. Das bedeutet allerdings nicht, dass es hin und wieder nicht wirklich besser gewesen wäre, jemand hätte die Begleitung nicht übernommen.    Aber Pannen und Fehler sind bei keinem Konzept auszuschließen, auch nicht, wenn der Pfarrer alles selber macht.

 

Zurück